[Standpunkt] Concerning iOS 7

Vor gut einer Woche hat Apple die erste Beta (!) Version von iOS 7 herausgebracht. Und da iOS 7 von Apple ist, hat sich natürlich die gesamte Medienlandschaft auf das Thema gestürzt und wild darüber berichtet.

Frei nach dem Motto: “Es ist schon alles gesagt worden, nur noch nicht von jedem” hier meine Einschätzung zum neuen Betriebssystem, der Typographie, den Icons und dem ganzen Drumherum…Ein altes System.

iOS ist tatsächlich in die Jahre gekommen. In den letzten 6 Versionen hat sich eigentlich nicht viel verändert. Die Icons haben teilweise eine Überarbeitung erfahren, die Schieber wurden aufgefrischt, aber grundsätzlich blieb die Oberfläche gleich … und vertraut.

iOS ist jetzt im sechsten Jahr. Für ein Designraster eine Ewigkeit. Vor 6 Jahren sprach noch niemand von “responsive Design”, Grids, Icon-Sprache oder ähnlichen Entwicklungen. “Der Computer” stand auf einem Schreibtisch und wurde mit Maus und Tastatur bedient. Die zahlreichen Touch-Oberflächen sind eigentlich alle – sei es an technischen Gründen (Touch-Displays), oder an Design-/Usability-Gründen (Jeder der schonmal versucht hat Word mit einem Touchdisplay zu bedienen weiss, wovon ich rede) – gescheitert.

“Der Computer” selbst war aber schon wesentlich älter. Die Oberflächen, sei es jetzt Mac OS oder Windows, bedienten sich hauptsächlich aus der “realen Welt” entlehnten Prinzipien und versuchten diese auf den Bildschirm zu übertragen. Deshalb haben wir einen Schreibtisch, einen Papierkorb, modale Fenster mit Arbeitsflächen (=>Schreibpapier) und tippen auf einer Tastatur, die der Schreibmaschine entlehnt ist.

Das einzig Revolutionäre war eigentlich die Maus, die keinerlei Meta-Gegenstück in der realen Welt hatte. Sie war aber einfach notwendig, um die Buttons (Knöpfe) zu bedienen, die selbstverständlich dreidimensional und eckig gestaltet waren, um die Assoziation zu Knöpfen einer Maschine aufrechtzuerhalten.

Dann kam iOS, bzw. damals noch iPhone OS, das genau diese Prinzipien der Bedienung, der Knöpfe und der Metaphern in eine Touch-Oberfläche überführte. Zu dieser Zeit eine Revolution, aber eine Revolution mit Hintergedanken, nämlich die Berührungsängste durch ein – wenn auch unterbewusstes – Wiederkennen der Bedienelemente zu steigern. Eine Anstrengung die eindeutig erfolgreich war. Im – ansonsten leider uninteressanten – Markencheck Apple der ARD zeigen neurologische Untersuchungen, dass das iPhone als menschlich, sympathisch, verständlich, also als “Bauch”-Gerät wahrgenommen wird, während alternative Produkte eher als technisches “Kopf”-Gerät empfunden werden.

Ein Erfolg des Designteams von Apple, der auch auf den Metaphern aus der realen Welt und skeuomorphistischen Ansätzen beruht. Beispiele sind hier z.B. die Lederoberfläche der iPad Kalender-App, die Abriss-spuren der Notizzettel-App und – oft gescholten – die Tonband-Animation in der Podcast-App.

Der neue Weg

Jetzt hat Apple iOS 7 vorgestellt, komplett neu, komplett anders und eigentlich viel zu bunt. Doch Apple hat nicht nur an den Farben und an den Icons gedreht. iOS 7 bedeutet die weitgehende Abkehr vom auf Real-World-Methaphern basierenden Designkonzepts, das Apple 1984 mit dem Mac begonnen hat und mit iOS 1 zur Perfektion getrieben hat.

Nein, iOS 7 ist ein das direkte Resultat der neuen Struktur bei Apple, in der Jonathan Ive nicht nur für das Gerätedesign, sondern auch für die Oberfläche verantwortlich ist. Und Ive dreht voll auf. Mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein will uns mit der neuen Version wohl sagen: “Wir sind durch mit Metaphern. Ihr kennt das iPhone und die Bedienung jetzt seit 6 Jahren. Millionen von Nutzern kommen mit der neuen Technik zurecht und sind die Bedienung von Touch-Geräten und WebApps gewohnt. Jetzt ist Schluss mit Methaphern. Wir haben beim Design der Benutzeroberfläche immer Kompromisse gemacht, um Gewohnheiten der Nutzer in der richtigen Welt abzubilden. Ab sofort machen wir das jetzt anders. Egal ob sich der Nutzer umgewöhnen muss oder nicht.”

Eine Frage der Zeit

Mit iOS 7 erkennt Apple eine maßgebliche Entwicklung an, die kurz vor der Veröffentlichung des originalen iPhones begonnen hat. Microsoft hat Ende 2006 den IE6 nach 6 Jahren abgelöst und macht als damals dominierender Browser-Hersteller den Weg endlich frei für die Entwicklung und weiteren Verbreitung von Web-Anwendungen wie z.B. GoogleDocs, Picasa und zahlreiche andere Dienste. Angefeuert wurde die Entwicklung noch durch die stetige Verbreitung von HTML5/CSS3/Ajax-Technologien in Webanwendungen in den letzten Jahren. Nicht zuletzt durch die stetig wachsende Verbreitung von Smartphones und Tablets selbst, die immer mehr Softwarehersteller zur Entwicklung von Webanwendungen bringen.

Diese Webanwendungen sind zum großen Teil natürlich unabhängig vom Betriebssystem und versuchen sich möglichst neutral in alle Betriebssystemumgebungen einzufügen. Und durch die Einschränkung der Bandbreiten und HTML-Technologien ist nicht viel Platz für Skeumorphismus, weshalb sich für Webanwendungen eine ganz eigener, reduzierter, schlichter und nüchtener Stil durchgesetzt hat. Einen Stil, den zuletzt auch Microsoft versucht hat, auf die Windows Phone 7/8 Geräte zu übernehmen.

Apple versucht jetzt ebenfalls, auf diesen Zug, der auch durch iPhones und iPads befeuert wurde, aufzuspringen und sich wieder an die Spitze der Designentwicklung zu setzen. Die Entwicklung geht in die gleiche Richtung wie Windows Phone 7/8, weshalb Apple auch vorgeworfen wird, zu kopieren. Sicherlich haben beide Systeme ihre Wurzeln in der gleichen Web-Ästhetik, wenn man genau hinsieht, bleiben aber doch – mal abgesehen von der offensichtlich unumgänglichen Helvetica Neue Light – dramatische Unterschiede in der Umsetzung auf ein anderes Fundament.

Und jetzt? Der erste Eindruck?

Beim ersten Blick auf iOS 7 war ich zunächst entsetzt. Alles war anders, die Icons wirkten zu bunt, die lieb gewonnenen Slider sind ihrer optischen Funktionsbeschreibung beraubt und die angestrebte Dynamik und Mehrdimensionalität sind unausgereift. Und auch nach zwei Wochen wirkt die Zuckerschicht zu dünn, die Designsprache unausgewogen. Das Designkonzept an sich fängt aber langsam an mir zu gefallen.

iOS 7 liegt immer noch in der ersten Beta. Ivy hat mit seiner Entwicklungsabteilung in sieben Monaten ein großes Stück Weg hinter sich gebracht. Aber ein gehöriges Stück liegt noch vor den Entwicklern.

Es gilt jetzt, die Optik noch runder zu machen, die Icons weniger aufregend, die Mehrdimensionalität greifbarer. Und es müssen Fehler beseitigt werden. Ein Slider, den keiner mehr erkennt, verwirrt. Eine Helvetica Neue ist in Light schlicht zu… leicht, um auf den ersten Blick aufgenommen werden zu können. Ein Farbfächer ist keine ausreichende Auszeichung für eine Foto-App, ebenso wecken vier farbige Blasen in mir keine Assoziation zum Spielen. Ein Schieber der nicht mehr geschoben werden kann, ist zwar hübsch, verfehlt aber seinen Zweck.

Bleibt zu hoffen, dass Apple in den nächsten zwei Monaten bis zur Final, die vermutlich wieder im September erscheint, noch viel Belastungsfähigkeit und Ausdauer beweist und letztendlich wieder ein so rundes iOS veröffentlicht, dass wieder Maßstäbe für die nächsten Jahre setzt.


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